Mediziner fordert: Mit Digitaltechnik und Künstlicher Intelligenz Leben retten

Dr. Stephan Kranz: Mit besserer Herzvorsorge wäre dem Vorhofflimmern schnell „auf die Spur“ zu kommen

 

Den verstärkten Einsatz von Digitaltechnik und Künstlicher Intelligenz in der medizinischen Diagnostik hat der Hamburger Herz-Spezialist Dr. Stephan Kranz gefordert. So sei die Auswertung von Langzeit-EKGs eine perfekte Aufgabe für KI: „Sie kann das Herz-Screening erheblich verbessern und es zugleich zum Standard in der häuslichen Diagnose machen.“ Das würde nicht nur die Kosten im Gesundheitssystem senken, sondern auch der medizinischen Unterversorgung in ländlichen Gebieten entgegenwirken. „Und wir werden vielen Menschen das Leben retten können.“

Dr. Kranz arbeitet als Mediziner am Cardiologicum Hamburg und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Vorhofflimmern. Zudem ist er an zwei revolutionären Neuerungen zum Herz-Screening beteiligt: Als ärztlicher Geschäftsführer der dpv-analytics GmbH entwickelte er den „ritmo„, ein Langzeit-EKG in Miniaturformat, das als bedeutsame medizinische Innovation mit dem German Medical Award ausgezeichnet wurde. Das neueste Produkt des noch jungen Medizin-Unternehmens: der „CardioCheck by myritmo„, eine fachärztliche Bewertung von Smartwatch-EKGs.

Die Fakten sind bekannt: In Deutschland sind etwa 500.000 Patienten von Vorhofflimmern betroffen. Diese Herzrhythmusstörung wird oftmals nicht bemerkt – mit fatalen Folgen: „Rund 25 Prozent aller Schlaganfälle sind auf Vorhofflimmern zurückzuführen“, sagt Dr. Kranz. Das sind rund 70.000 Schlaganfälle – pro Jahr! Die meisten von ihnen könnten vermieden werden: „Durch das rechtzeitige Einleiten einer blutverdünnenden Therapie lässt sich der Bildung von Blutgerinnseln vorbeugen“, so Dr. Kranz. 

Es geht darum, Risikopatienten zu identifizieren. Voll im Trend sind Smartwatches, mit denen sich in Sekunden ein EKG erstellen lässt. Aber funktioniert diese private Techno-Diagnostik wirklich zuverlässig? Und wie soll man sich verhalten, wenn die Uhr Vorhofflimmern anzeigt? Dazu fünf Fragen an Dr. Stephan Kranz:

Kann eine Uhr am Handgelenk wirklich helfen, Vorhofflimmern im Herzen zu erkennen?

Dr. Kranz: Auf alle Fälle! Diverse Studien zeigen: Für eine erste Frühwarnung sind entsprechende Smartwatches sehr gut geeignet. Sie erstellen am Handgelenk eine Art Blitz-EKG: Die Messung innerhalb von wenigen Sekunden ist für eine grundlegende medizinische Beurteilung natürlich nicht ausreichend. Aber für einen ersten „Warnschuss“ ist eine Smartwatch durchaus brauchbar.

Und was soll man tun, wenn die Smartwatch Vorhofflimmern anzeigt?

Dr. Kranz: Zunächst gilt: nicht in Panik geraten! Oftmals werden Unregelmäßigkeiten beim Herzrhythmus erkannt, die ganz normal sind und keine Behandlung erforderlich machen. Das kann ein Laie natürlich nicht erkennen: Insofern ist eine zügige ärztliche Abklärung durchaus sinnvoll.

Die Panik der Betroffenen hat vielleicht einen anderen Grund: Der Hausarzt hat erst in ein paar Wochen Zeit, ein Kardiologe in einigen Monaten… Wie kann eine ärztliche Abklärung schnellstens stattfinden?

Dr. Kranz: Die Problematik ist bekannt. Und sie wird sich auch noch verschärfen, weil die Zahl der Hausärzte weiter zurückgeht, vor allem auf dem Lande. Deshalb haben wir den „CardioCheck by myritmo“ entwickelt: Das Smartwatch-EKG wird per E-Mail an cardio@myritmo.de geschickt und von uns überprüft. Ein ärztlich validierter Bericht geht den Betroffenen per Mail zu, in der Regel innerhalb eines Werktages. Sie erfahren also schnellstmöglich, ob die von der Smartwach ermittelten Werte unbedenklich sind – oder ob zur genaueren Abklärung ein medizinisches EKG gemacht werden sollte.

Einen Arzttermin für ein richtiges EKG gibt’s dadurch noch lange nicht… Was tun?

Dr. Kranz: Grundsätzlich wäre hier unser Gesundheitswesen gefordert: Kranke müssen die Hilfe bekommen, die sie benötigen, und das natürlich zeitnah. Aber dieses Ziel ist mit herkömmlichem Vorgehen kaum zu erreichen sein. Deshalb muss die Digitaltechnik und auch die Künstliche Intelligenz viel intensiver in die ärztliche Diagnostik eingebracht werden. So ist beispielsweise die Auswertung eines Langzeit-EKGs die perfekte Aufgabe für KI: Selbstlernende Algorithmen scannen jeden einzelnen Herzschlag und erkennen genau und schnell jede Abweichung und Anomalie. Die Auswertung springt direkt an die Stelle, an der eine Störung identifiziert wurde: So präzise kann kein Arzt auf der Welt agieren…

Auf Basis dieses Wissens haben wir den „ritmo“ entwickelt, ein Langzeit-EKG in Miniaturformat, das sich jeder Patient nach Hause bestellen kann. Er ist als Medizin-Produkt EU-weit zugelassen, kommt ohne Kabel aus und ist deshalb ganz einfach zu bedienen: Der „ritmo“ wird drei Tage lang mit einem speziellen Pflaster auf die Brust geklebt und dann an uns zurückgeschickt. Die aufgezeichneten Herz-Daten werden ausgewertet und von einem Kardiologen validiert. Das bedeutet: Der Patient bekommt in kürzester Zeit die Ergebnisse übermittelt, die – wie das traditionelle EKG eines Kadiologen – die Grundlage für die weitere Behandlung bilden.

Würden Sie der These zustimmen: Eine verbesserte Vorsorge rund ums Herz hilft Leben zu retten?

Dr. Kranz: Absolut richtig! Mit einer verbesserten Herzvorsorge kommen wir dem Vorhofflimmern schnell „auf die Spur“. Diese Herzrhythmusstörung stellt ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Herzschwäche und Demenz dar – und letztlich auch für eine erhöhte Sterberate. Das muss nicht sein: Vorhofflimmern ist sehr gut behandelbar – wenn es nur rechtzeitig erkannt wird. Dazu wollen wir beitragen, das ist unser erklärter Auftrag.